Überlegungen zur Diskussion von „Delphine et Carole, insoumuses“ im Silent Green

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Delphine Seyrig und Carole Roussopoulos mit Videokameras – Filmplakat beim Centre Audiovisuel Simone de Beauvoir http://www.centre-simone-de-beauvoir.com/2019/02/04/delphine-carole-insoumuses-a-berlinale-7-17-fevrier-2019/

Callisto Mc Nulty ist die Enkelin der Videoaktivistin Carole Roussopoulos (1945 – 2009).  Sie hat einen wunderbaren Film über ihre Großmutter gemacht.

Zusammen mit ihrer Editorin Josiane Zardoya gelingt es ihr, ausschließlich aus Archivmaterialien und mit einer brillianten Montage den *féminisme enchanté * wieder auferstehen zu lassenso, wie ihn die “Insoumouses”  in den 70er Jahren mit Delphine Seyrig (“Letztes Jahr in Marienbad”) und mit Hilfe des legendären Sony Portapak praktizierten. “Insoumouses” war ein Wortspiel; etwa “ungehorsame Musen” – und ihr Motto hieß:

„Kein Fernsehbild kann uns verkörpern, wir werden uns mit Hilfe von Video erzählen“

Ungestört durch einordnende Kommentare tauchen längst vergessene, verblüffend junge Gesichter und Gedanken aus dem schwarzweiß grisselnden Rauschen der alten Videobilder wieder auf. Schauspielerinnen wie Juliet Berto, Maria Schneider, Viva, Shirley MacLaine und Jane Fonda liefern krasse MeToo Geschichten – und werden mit glamourös-verspielten Filmszenen kombiniert, in denen Delphine Seyrig als lilaglitzernde Fee die kleine Catherine Deneuve-Prinzessin über ihre Rolle aufklärt. Hinzu kommt Talkshowmaterial, in dem außer barbarischen Macho-Gästen und einer haltlos lächelnden Frauenministerin auch Simone de Beauvoir, Marguerite Duras und die nervös-nachdenkliche junge Chantal Akerman mit ihren hellen Augen auftritt. Alle rauchen Kette (Seyrig starb an Lungenkrebs), sind wütend und witzig, und man kann Roussopoulos dabei zuhören, wie sie von den kühnen Video-Aktionen der „Insoumouses“ erzählt. Man sieht Ausschnitte aus den brillianten Agit-Prop Kunststücken der Gruppe, in denen zum Beispiel Valerie Solanas´ S.C.U.M. Manifest am Küchentisch verlesen wird, und lernt Roussopoulos als unerschrockene Technikpionierin, sozialutopische Visionärin und eloquente Erzählerin kennen. Es wird deutlich, dass sie mit ihren selbstermächtigenden Videoworkshops eine ganz eigene Bewegung ins Rollen gebracht hat: Den Video-Aktivismus. (Sie kaufte den zweiten Sony Portapak in Frankreich – den ersten hatte Jean Luc Godard erworben).

Auf dem Diskussionspodium nach dem Film stellt sich im Silent Green dann die Frage: Wieso eigentlich ist Carole Roussopoulos und ihre einflussreiche und inspirierende Videoarbeit nicht bekannter geworden?

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Tatjana Turanskyj, Callisto McNulty, Julia Fuhr Mann, Übersetzer

Tatjana Turanskyj stellt als Moderatorin die provokante These auf, dass Roussopoulos wohlmöglich ihre Chance auf größeren Nachruhm selbst verpasst hat, indem sie sich immer „nur“ als Videoaktivistin präsentierte, statt als Künstlerin und „auteur“ aufzutreten. Damit versetzt sie die Aktivismusdiskussion schlagartig und sehr selbstkritisch in unsere heutige Welt:

Überall wird eine hochglänzende Präsentation der eigenen außerordentlichen Besonderheit angeraten und abverlangt, und tatsächlich spreizen sich auf allen Online-Kanälen, bei den KünstlerInnen und AktivistInnen, extraordinäre Positionen – nur ein gemeinsames, politisches Ziel ist dabei eher selten zu erkennen.

Dabei könnten wir etwas mehr gebündelten Aktivismus, und dabei mehr  Joyous radicality (McNulty) doch dringend gebrauchen.

Zwar werden in Fernseh-Talkshows keine Männerrunden mehr dafür gecastet, um die einzige anwesende Frau gemeinsam in die Enge zu treiben und lächerlich zu machen – so, wie es noch in Roussopoulos´ „Maso und Miso fahren Boot“ der damaligen französichen “Frauen-Ministerin” Françoise Giroud geschieht (die dabei die ganze Zeit so tut, als ob das ganz reizend und völlig normal sei, weswegen die Insoumouses sie in ihrem Video “Maso” nennen.)

Aber wer sich heute zum Beispiel aktivistisch für Pro Quote Film engagiert (Turanskyj ist Mitgründerin) darf sich immer noch auf die eine oder andere herabwürdigende und schmerzhafte Breitseite gefasst machen.

Interessanterweise reicht es dafür allerdings häufig, den künstlerischen Rang der Aktivistinnen in Frage zu stellen, etwa mit dem Argument, diejenige(n) würden ja nur Thesen illustrieren und nur noch „sozialdemokratisch“, oder gar „gewerkschaftlich“ agieren: Schon sieht sich die Aktivistin empfindlichst in ihrer KünstlerInnen-Ehre angegriffen, und fühlt sich getrieben, noch fleißiger an der Herauspräparierung ihrer individuellen Besonderheit zu arbeiten – statt weiterzumachen und den repressiven Charakter solcher Vorwürfe zu entlarven.

Warum macht man sowas? Wahrscheinlich, weil man artig gelernt hat, in  permanenter Online-Selbstdarstellung eine Chance zu sehen, die man nur zu nutzen braucht, um alles richtig zu stellen und Erfolg zu haben: „Be all you can be“, be who you really are“, bla.

Scheinheilige Karrieretips wie diese können einen aber auch dann noch aufhalten, wenn man sie eigentlich schon entlarvt hat. Julia Fuhr Mann, PQF Aktivistin und Mitdiskutierende auf dem Podium, illustrierte das mit einem weiteren abgestandenen Patentrezept, das als Ausschlusswerkzeug gegen AutorInnen und RegisseurInnen benutzt wird: Die vermeintlich alternativlose Dramaturgie der „Heldenreise“, ohne die es angeblich keinen erfolgreichen Film geben kann – und die man Frauen weniger zutraut als Männern. (Oder warum werden sie so wenig gefördert?)

Genau wegen solcher Hindernisse und Einschränkungen ist es jetzt so erfrischend, den *féminisme enchanté* der Insoumouses zu sehen.

Denn hätte sich zum Beispiel Chantal Akerman´s Jeanne Dielman jemals für das Prinzip „Heldenreise“ qualifiziert? ? ? (Ok, sie bringt jemanden um, aber sonst? Dieses Betten machen, diese Schrankwand, dies Artifizielle beim allerödesten Kartoffelschälen…)

Carole und Delphine hätten jedenfalls sicher – gleich in der nächsten Talkshow, zusammen mit Simone de Beauvoir, Marguerite Duras und Chantal Akermann – klar gemacht, dass das Einfordern von herausragender Autorenschaft häufig nur der Zementierung eines Kanons dient, der weibliche Erfahrung nicht repräsentiert, sondern ausschließt.

Der ständig zu aktualisierende Nachweis der eigenen, betont lockeren,  nicht-gewerkschaftlichen und rein künstlerischen Besonderheit hat heute jedenfalls ähnliche Auswirkungen wie früher das alte „Zurück an den Herd/ Runter von der Straße“.

Oder auch: Sois belle et tais-toi ! Be Pretty and Shut Up!

 


Weitere Vorführungen Delphine et Carole:

  • Sa 16.02. 15:00, Kino Arsenal 1

Weitere Videos der Insomouses auf der Berlinale:

 Mehr Interessantes zum Weiterlesen:

 

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