Wiederausgrabung eines historischen Aufsatzes von 1982, aus dem Privat-Archiv von Andreas Döhler

Zwecks besserer Lesbarkeit, und in Ermangelung einer zugänglichen Online-Kopie im Archiv des Tip biete ich hier eine handgemachte OCR-Nachbearbeitung aus pdf-scans  an – mit zusätzlichen Bildern (die Original-Logos der alten besetzter-Kinos) aus dem autox.nadir-Archiv. Urheberrechtsverletzungen sind nicht beabsichtigt! – Im Gegenteil soll die Erinnerung an die Urheber und ihre Taten und Werke hiermit geweckt werden. (F.A.)

"Regenbogen-Kino" und Kino in den Panke-Hallen

Foto © Max Kohr

Lichtspiele im Untergrund

Berlins Off-Kinos bekommen Konkurrenz von unten : Immer mehr Mini-Kinos in besetzten Häusern oder sogar in Kneipen-Hinterzimmern bieten alternatives Programm, weil man neue Inhalte vermitteln will.

Die Berliner Kinolandschaft war bisher fast säuberlich dreigeteilt, in die Häuser am Ku’damm, die Bezirkskinos (deren Zahl rapide zurückgegangen ist) und – seit nunmehr zehn Jahren – die Off-Szene. Das sind insgesamt nahezu siebzig Spielstätten (vor zwanzig Jahren gab’s allerdings in Berlin das Vierfache) — und sie beginnen wieder, sich zu vermehren. Auch und gerade im Off-Bereich. Doch ausgerechnet diese Kinos sind es, auf die eine neue cineastische Bewegung in Berlin äußerst kritisch reagiert: das Kino im Untergrund, denn, wenn sich auch Ansätze und Ideen ähneln, sind letztlich all diese Film- und Kinoinitiativen thematisch und inhaltlich kaum auf einen Nenner zu bringen.

Da entstehen Kinos in besetzten Häusem und Fabriken, kommunale Filminitiativen, Genre-Filmclubs, Spielstätten für die sogenannten neuen Medien wie Super-8 und Video.

Offensichtlich gibt es also Ansprüche ans Kino, die auch von Kinos mit Ansprüchen nicht ausreichend befriedigt werden konnten.

"Ufer-Kino"

Foto © Max Kohr

 „Heute sind es die Programmkinos, die durch ihre Filmauswahl dem Zuschauer das Sehen abgewöhnen. Das ewig gleiche Abnudeln der Filme im Nachtprogramm und der Versuch, nur noch publikumswirksame Erstauführungen ins Programm zu nehmen und diese wochenlang zu spielen, bis sie kommerziell vollkommen ausgenutzt sind, hat dazu geführt, daß der Zuschauer in Berlin nur noch einen kleinen Teil der Produktionen zu sehen bekommt. Durch dieses diktatorische Gebaren und reine Finanzdenken der Off-Kinos werden die Bedürfnisse des Zuschauers nicht mehr befriedigt, und so ist es nur natürlich, daß sich eine neue Kinokultur von unten gebildet hat und auf dem kleinen Raum, den sie hat, versucht, wieder mit dem Medium Film zu arbeiten, wie es ihm gebührt“,

heißt es in der Selbstdarstellung eines der Kinos, die — im „Berliner Kinoverbund“ lose zusammengeschlossen — vielleicht so etwas wie den Kern dieser neuen Kinokultur bilden.

Die Zusammenarbeit in diesem Verbund ist jedoch in erster Linie eine technische. Man teilt sich zwei – vom Netzwerk Selbsthilfe – gestiftete 16mm-Projektoren. Ihre Programme sind so bunt wie das Angebot an unentdeckten, nicht ausgewerteten Filmen in Berlin, die tatsächlich zum Teil nur dort zu sehen sind. So wird die oft sehr scharf formulierte Kritik am Off schließlich konstruktiv. Es entsteht weniger eine Konkurrenz, als vielmehr eine sinnvolle Ergänzung.

Zum Beispiel das (oben zitierte) Regenbogenkino, das sich seit März 1982 in einer Etage der besetzten „Regenbogenfabrik“ (Lausitzer Straße 22, 1/36) befindet und Teil einer Nachbarschaftsinitiative ist, die dort Werkstätten eingerichtet hat, Übungsräume für Musikgruppen zur Verfügung stellt, Spielmöglichkeiten für Kinder bietet. (Wie zu erfahren war, ist jedoch das Schicksal der von einem großangelegten Sanierungsplan bedrohten Fabrik derzeit ungewiß.) Man versteht sich als engagiertes Bezirkskino, das nicht zur „Selbstbeweihräucherung der Alternativen“ herhalten will, sondern von der gesamten Kreuzberger Bevölkerung entdeckt werden möchte. Deshalb hat das Programm — welches von Freitag bis Sonntag in jeweils zwei Vorstellungen abläuft — zwei unterschiedliche Schwerpunkte. Einmal die gute Unterhaltung mit cineastischen Leckerbissen und Raritäten (vor kurzem war dort zum Beispiel Wim Wenders‘ Frühwerk „Summer in the city“ zu sehen) und zum anderen politische Streifen, die zur anschließenden Diskussion anregen sollen.

Wie das Regenbogenkino sind auch die anderen ,,Häuser“ des Verbundes nicht-gewerbliche Spielstätten – ein weiterer wesentlicher Unterschied zur Off-Szene.
Der Vorteil: man ist zu keinerlei Zugeständnissen gezwungen. Der Nachteil: auch nicht-gewerbliche Kinoarbeit kostet Geld. Das kommt durch (übrigens durchweg niedrige) Eintrittspreise oder Spenden zusammen. Nicht selten aber müssen die Kinomacher auch in die eigenen Taschen greifen. Denn die Filme, größtenteils 16mm-Produktionen (manchmal auch Super-8 oder Video – doch dazu später), werden zu normalen Verleihbedingungen gemietet. (Wichtige Lieferanten sind hier die bekannten 16mm-Verleihe wie Atlas-Film oder Unidoc, natürlich die „Freunde der deutschen Kinemathek“, aber auch Großverleiher mit einem Schmalfilmsortiment; zuweilen arbeitet man auch mit der Landesbildstelle oder der Hochschule für Film und Femsehen zusammen.)

Recht gut scheinen auch die Kontakte dieser Kino-Szene zu Filmschaffenden zu sein, die oft nur hier eine Chance finden, ihre Filme der Öffentlichkeit vorzustellen.

Das geschieht unter anderem im Kino Eiszeit (Blumenthalstraße 13, 1/30). h_kino4_EiszeitIn diesem besetzten Haus (der Neuen Heimat), für das die Berliner AG Dokumentarfilm eine Patenschaft übernommen hat, wird ebenfalls seit dem Frühjahr kontinuierlich Kinoarbeit gemacht. Mitarbeiter der AG Dok stellten sich dort beispielsweise mit Dokumentarfilmen über die APO-Zeit und ihre Nachwehen vor. Es gab Experimente mit Stummfilmen — die Klavierbegleitung war live. In letzter Zeit wird das Programm eher – aber nicht ausschließlich — durch die speziellen Vorlieben seiner Macher bestimmt: man spielte Filme des „New American Cinema“ wie etwa den „Lenz“ von Alexander Rockwell.

Im Unterschied zu dem gemischten Programm dieses Kinos in einem besetzten Haus, gestaltet sich das des (fast benachbarten) Besetzer („Besezza“)-Kinos Anschlag konsequent und ausschließlich politisch. h_kino3_AnschlagIn dem Haus Steinmetzstraße 21 in Schöneberg werden in monatlich wechselnden Reihen mit bestimmten Themenschwerpunkten wie Häuserkampf oder Anti-AKW-Bewegung stets nur „heiße Eisen“ angepackt.

Mit schwerpunktmäßigen Filmreihen wartet seit nunmehr eineinhalb Jahren auch das wohl prominenteste Mitglied des Verbundes auf : h_kino2_dpadas D.P.A. (Der parfümierte Alptraum) als Teil des KuKuck in der Anhalter Straße 7, dem es sogar gelang, innerhalb einer Serie mit historischen Filmen bei der Vorführung der „PatriotinAlexander Kluge herbeizuholen. Auch experimentelle und Super-8-Filme haben hier eine Chance, aufgeführt zu werden. Darüberhinaus beteiligt sich das D.P.A. gerne mit Film- und Dia-Projektionen bei Aktivitäten außer Haus. Zur Zeit wird das Programm dort von der Initiative Kommunales Kino Moabit der Stadt bestritten. Die weitere Existenz dieser Initiative, die bis vor kurzem noch in einem besetzten Haus in der Moabiter Jagowstr. 12 und vorher in einem alten Kino in der Beusselstraße saß, ist zur Zeit ungewiß.

Kino in den Panke-Hallen

Foto © Max Kohr

Wie das Regenbogenkino oder D.P.A. ist auch das Kommunale Kino Lichtblick in den Weddinger Pankehallen (Osloer Straße 102) Teil eines größeren Kulturprojektes. Für die ehemaligen Fabrikhallen
am Ufer der Panke mit Kino, Theater, Literaturgruppen, Café, Werkstatten, bestehen feste Nutzungsverträge mit Kinoraum in den Weddinger Panke-Hallen. Sie gelten jedoch vorerst nur bis zum Frühjahr nächsten Jahres. Möglicherweise muß die Fabrik einem großen Bauprojekt — einem Auffangbecken für die einmal im Jahr über die Ufer tretenden Panke — zum Opfer fallen. Einstweilen wird dort aber mit bemerkenswerter Konsequenz an drei Tagen in der Woche Kino gemacht —unter zwei wesentlichen Aspekten: Erstens versteht sich auch das KOKi Lichtblick als notwendiges Bezirkskino.

„Kommunale Filmarbeit ist kein abstraktes Ziel, sondern immer eine Antwort auf die lokale Film- und Kinosituation. Neu ist diese Idee auch nicht. Das erste kommunale Kino gab es bereits 1912 in Hamburg-Altona. Diese Art von Kinos war und ist immer eine Alternative, eine Ergänzung, keine Konkurrenz zur bestehenden Kinolandschaft.
Die Arbeit der kommunalen Kinos erstreckt sich heute gerade auf die Forderung derjenigen Filmemacher, die aus ästhetischen, inhaltlichen oder marktwirtschaftlichen Gründen keine Abspielchance haben. Möglicherweise setzen sie Maßstäbe für die Filmarbeit von morgen“.

So eine Beschreibung der Arbeit des Lichtblick in der „Dokumentation der Weddinger Kultur-Wochen“, durch die das Projekt im Sommer zum erstenmal groß auf sich aufmerksam machte. Zum zweiten heißt es dort:

“Filme entstehen nicht im luftleeren Raum. Also können sie auch nicht im geistigen Vakuum präsentiert werden. Oft spürt man im Kinoraum die Spannung, spontan über einen Film reden zu wollen. Das muß ein Ansatz sein, Filme als das zu präsentieren, was sie sind: ein Kommunikationsmittel, ein Mittel zum Gespräch.“

Tatsächlich wissen die Kinomacher aus dem Wedding – die übrigens zum Teil über große Erfahrungen aus dem gewerblichen Kinobereich verfügen und, wie die Initiatoren der anderen Kinos auch, begeisterte Cineasten sind — über interessante und fruchtbare Diskussionen zu berichten.

Kino in der Spandauer Moritz-Fabrik

Foto © Max Kohr

In wenigen Wochen kann das Kino in der ehemaligen Ufa-Fabrik (Viktoriastraße 13 in Tempelhof), der Ufer-Palast auf eine einjährige, recht erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Nicht zuletzt die vergleichsweise guten räumlichen und technischen Bedingungen (die Fabrik verfügt natürlich über einen eigenen großen Kinosaal) ermöglichen ein (Bezirks-)Kinoengagement im größeren Stil. In dem fast täglich (außer Montag und Dienstag) ablaufenden Programm, sind hier Renner der Repertoire-Kinos ebenso zu sehen wie Kinderfilme, außergewöhnliche Programmreihen oder Dokumentationen. 

Vom Rest Berlins kaum bemerkt, leistet in Spandau der Club Filmriß e.V. seit nunmehr zwei Jahren eine fortlaufende und anerkannte Bezirkskinoarbeit. Im Vereinszimmer der Kneipe “Spandauer Bock“ (Moritzstraße 2) kommen zweimal in der Woche Filme zur Vorführung: mittwochs gibt‘s Filme zu bestimmten — monatlich wechselnden — Themen, sonnabends ein gutes, gemischtes Unterhaltungsprogramm. Die Arbeit wird größtenteils durch die Mitgliedsbeitrage dieses Vereins (ca. 70 Mitglieder) finanziert. Eine regelmäßig erscheinende Programmzeitung stellt die gezeigten Filme ausführlicher vor, vermittelt etwas Filmtheorie und -geschichte und spart auch gesellschaftspolitisches Engagement nicht aus. Man beteiligte sich beispielsweise mit einer Filmreihe an der Friedenswoche in Spandau im letzten Herbst. Auch das sprengt den Rahmen üblicher Kinoarbeit.

“Den 8mm-Film gibt es seit fast 50 Jahren, und das modifizierte Super-8-Format wurde in Europa vor über 15 Jahren eingführt. Trotzdem blieb die Verwendung dieses Formats bis heute auf die private Nutzung als Urlaubs- und Familienfilm beschränkt. Öffentlich gab es das Medium nicht.“

Das hat sich geändert, spätestens, seit es auf den wichtigen Festivals, wie dem in Oberhausen, Super-8-Vorführungen gibt. In Berlin gab es im September sogar ein Super-8-Festival — aus dessen Programmheft übrigens das obige Zitat entnommen wurde. Und nun hat des Medium hierorts sogar eine eigene Abspielstätte.

Gib-8-Kino

Foto © Max Kohr

Im vierten Stock des Hauses Reichspietschufer 20 präsentiert das GIB 8 an den Wochenenden Super-8-Produktionen aus Berlin und der Bundesrepublik. Die GIB-8-Macher sind auch selbst Super-8-Filmer. So gilt das Kino auch als Treffpunkt fur Filmemacher und soll den Beginn setzen für eine große Super-8-Zentrale, ein Filmhaus, das die technischen Voraussetzungen für die Produktion und Herstellung von 8-mm-Filmen bietet. Im GIB 8 bekommt übrigens jeder Filmemacher, dessen Arbeit gezeigt wird, ganze 50% der Einnahmen.

Berlins erstes und einziges Videokino Korrekt Screening auf der Alt-Moabit 75 in Berlin 21 unterscheidet sich zwar rein äußerlich ganz massiv von dem bisher beschriebenen, gehört aber inhaltlich bestimmt in den Bereich des “vierten Kinos“. Wie schon in TIP 20/82 berichtet, enthält dieses luxuriös ausgestattete Kino (mit Pan-Am-Sesseln und einer noblen Bar) eine Videogroßprojektion. Jeden Tag (ab 21.30 Uhr) werden dort unter vierzehntäglich wechselnden Programmthemen neue, interessante Videoproduktionen vorgestellt.

Was da im Programmteil des TIP größtenteils unter der Rubrik “Was noch“ (die ich persönlich ohnehin oft für die interessanteste halte) rangiert, ist also nicht mit dem geringschätzigen Begriff „ferner liefen“ zu fassen. Zwar sind die Ansprüche oft weit weniger bescheiden als die Publikumsresonanz: ein regelrechtes Stammpublikum hat im Grunde noch keins dieser Kinos, die Besucherzahlen sind
stark schwankend und richten sich ausschließlich nach dem Programmangebot. Auch ist ein Bettlaken noch kein Ersatz für eine Leinwand.

Doch die Tatsache, daß sich die Arbeit all dieser Initiativen im letzten halben Jahr so deutlich stabilisiert hat und daß man immer wieder auf neue stößt und stoßen wird (weshalb auch dieser
Überblick nicht vollständig sein kann), macht klar, wie sehr in Berlin mit diesem Kino von unten gerechnet werden muß — und kann.

Alfred Holighaus

Original-Scans aus dem tip von 1982 (Archiv Andreas Döhler)

Lichtspiele im Untergrund S1

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